Ethisches Reflektieren über Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“
1956 publizierte Ingeborg Bachmann das Gedicht Reklame. In dem Gedicht werden existenzielle Fragen des menschlichen Lebens gestellt, die von persuasiv-manipulativen Stimmen der Werbung durchzogen sind.
Für ein Verständnis des Gedichts ist einerseits intensivere Analyse- und Interpretationsarbeit vonnöten. Insofern kann die strukturierte Behandlung des Gedichts im Unterricht dazu beitragen, literarisches Textverstehen mit den dafür erforderlichen Fähigkeiten zu fördern; dies entspräche Aspekten der ‚funktionalen Bildung‘ in der Unterscheidung von Volker Frederking und Horst Bayrhuber (vgl. Frederking / Bayrhuber 2016). Andererseits provoziert das Gedicht jedoch auch nachdrücklich u.a. die an sich selbst zu stellende Frage nach dem Sinn des Lebens; das besonders in der Barockliteratur als Topos verbreitete ‚memento mori‘-Motiv wird unter dem Eindruck rauschender Stimmen der Werbung im 20. Jahrhundert neu gestellt. Insofern legt das Gedicht nahe, ergänzend eine identitätsorientierte didaktische Zugangsweise zu wählen, die diese ethisch grundierte Frage aufgreift und im Sinne ‚personaler Bildung‘ nach Frederking / Bayrhuber didaktisiert.
Das Aufgreifen und Didaktisieren ethischer Fragestellungen im Deutschunterricht entspricht dem zentralen Bildungsauftrag (auch) des Faches Deutsch, einen wesentlichen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler zu leisten und exemplarisch ethisch-moralische Fragestellungen, die durch das Unterrichtsmaterial im Fach aufgeworfen werden, auch explizit zu thematisieren; vgl. u.a. die Hinweise im bayerischen LehrplanPLUS für das Fach Deutsch (LehrplanPLUS o.J.):
„Es ist ein Ziel des Deutschunterrichts am Gymnasium, die Schülerinnen und Schülern dabei zu unterstützen, sich zu eigenständigen Persönlichkeiten zu entwickeln, die für sich und andere Verantwortung übernehmen. Besonders im Umgang mit literarischen Texten begegnen die Schülerinnen und Schüler exemplarischen ethisch-moralischen Fragestellungen. Sie hinterfragen Handlungsmotive und überprüfen, welche Konsequenzen sich aus bestimmten Verhaltensweisen für den Einzelnen und die Gemeinschaft ergeben. So verstehen die Schülerinnen und Schüler, dass Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft das Fundament menschlichen Miteinanders sind, und richten ihr Handeln nach einem demokratisch verorteten Wertekanon aus.“ [Herv. TK]
Im Folgenden wird ein Unterrichtsvorschlag skizziert, in dem mithilfe des Didaktischen Dreischritts im identitätsorientierten Literaturunterricht nach Frederking (z.B. Frederking 2013) die Aspekte funktionaler und personaler Bildung systematisch umgesetzt werden: Auf die Phase der ‚subjektiven Annäherung‘ an das Thema folgen die ‚objektivierende Erschließung‘ des Materials sowie die ‚personale und gesellschaftliche Applikation‘ als Transfer in die Lebenswelt. In der Sequenz wird Bachmanns Gedicht Reklame mit filmischer Werbung verbunden. Damit wird u.a. der Anforderung des bayerischen Lehrplans entsprochen, nicht zuletzt im Kompetenzbereich „Lesen – mit Texten und weiteren Medien umgehen“ (LehrplanPLUS o.J.) u.a. literarische Texte ebenso wie Filme und digitale Medien im Unterricht zu behandeln. Aspekte der Filmanalyse (vgl. Frederking / Krommer / Maiwald 2018) werden strukturiert in der Klasse eingeübt.
Hinweis: Der hier erstveröffentlichte Artikel wird in Kürze in aktualisierter Fassung unter dem Titel „Didaktisierung funktionaler und personaler fachlicher Bildung mit dem Drei-Phasen-Modell des identitätsorientierten Deutschunterrichts: Ein Praxisbeispiel zu Ingeborg Bachmanns Gedicht ‚Reklame’“ publiziert in: Albrecht, Christian; Brüggemann, Jörn; Kretschmann, Tabea; Meier, Christel (Hgg.) (2024): Personale und funktionale Bildung im Deutschunterricht. Theoretische, empirische und praxisbezogene Perspektiven. Wiesbaden: Metzler / Springer. Der Online-Beitrag wurde daher an dieser Stelle entfernt.